28. Oktober 2020 Ariel Leuenberger

«Unsere Bewegung ist sehr heterogen»

Ständerätin Eva Herzog, die Präsidentin von Wohnbaugenossenschaften Schweiz, zu CO2-Emissionen, Generationenwohnen und ihrem neuen Amt.

Seit Mitte Jahr sind Sie Präsidentin von Wohnbaugenossenschaften Schweiz, unserem Dachverband. Wie waren die ersten Monate im Amt?

Ein wenig surreal ist wohl die passende Antwort. Meine Wahl erfolgte coronabedingt schriftlich, ohne Versammlung, an der ich mich hätte vorstellen können. Inzwischen kenne ich alle Vorstandsmitglieder, wir hatten bereits eine Retraite. Auch eine Tagung mit Vertreterinnen und Vertretern der Regionalverbände konnte stattfinden – die inhaltliche Arbeit hat nun begonnen, was mich sehr freut.

Schon vor Ihrem Amtsantritt haben Sie sich mit gemeinnützigem Wohnungsbau beschäftigt. Was konnten Sie bewegen?

Als Regierungsrätin von Basel-Stadt und Vorsteherin des Finanzdepartements habe ich forciert, dass den Baugenossenschaften viel Land im Baurecht abgegeben wurde. Zuletzt etwa das Westfeld an eine neue Baugenossenschaft, allein dort entstehen 500 neue Wohnungen. Fazit meiner Regierungszeit, bevor ich Ende letzten Jahres in den Ständerat wechselte, sind ungefähr 500 erstellte Wohnungen und rund 1200 in Bau oder Planung.

Als neue Präsidentin und Ständerätin sind Sie nun in der Position, auch national Zeichen zu setzen. Was dürfen wir von Ihnen erwarten in den nächsten Jahren?

Aufgabe des Verbandes ist es zum einen, sich auf nationaler Ebene für die bestehenden Finanzierungsgefässe einzusetzen, wie den Fonds de Roulement oder die Bürgschaften, und auch nach weiteren Finanzquellen Ausschau zu halten. Dann geht es auch darum, selbstbewusst für unsere Bewegung einzustehen und zu zeigen, was wir der Gesellschaft bieten. Ich sehe dazu drei Pfeiler: erstens preisgünstiges Wohnen. Zweitens nachhaltige Bauweise in Richtung Netto-Null und CO2-Neutralität – hier können wir eine Vorreiterrolle spielen und zeigen, welche Möglichkeiten wir haben, welche Beispiele wir bereits umgesetzt haben. Denn das Know-how ist da, der Wille ist da, nur die Mittel sind begrenzt. Und drittens haben wir Lösungen für aktuelle Bedürfnisse des Zusammenlebens, etwa Generationenwohnen oder Clusterwohnungen. Diese Mischung aus privaten Räumen und Gemeinschaftsräumen gehören zu den Genossenschaften, und immer mehr Menschen möchten heute so leben.

Gleich vier Frauen wurden 2020 neu in den Vorstand von Wohnbaugenossenschaften Schweiz gewählt. Von links: Manuela Weichelt (Nationalrätin Kanton Zug), Eva Herzog (Ständerätin Kanton Basel-Stadt), Muriel Thalmann (Grossrätin Kanton Waadt) und Nathanea Elte (Präsidentin Allgemeine Baugenossenschaft Zürich).

Ist es richtig, dass sich die Wohnbaugenossenschaften äussern, wenn es um Wohnbaupolitik geht?

Ja, sicher. Das sollten die Wohnbaugenossenschaften in ihren Kantonen und Gemeinden und der Verband auf nationaler Ebene tun. Neben Finanzierungsmöglichkeiten braucht es auch die notwendigen politischen Rahmenbedingungen für unsere Tätigkeit. Die Aufgaben des Verbandes sehe ich in der Stärkung seiner Mitglieder durch Beratung und Informationsvermittlung, also einer Tätigkeit nach innen. Nach aussen betreibt der Verband Lobbying für den gemeinnützigen Wohnungsbau.

«Es dient auch den Genossenschaften, wenn bei einer Landabgabe im Baurecht Bedingungen gestellt werden.»

Eva Herzog, Präsidentin Wohnbaugenossenschaften Schweiz

Wo sehen Sie den grössten Entwicklungsbedarf bei den Baugenossenschaften? Wo können wir besser werden?

Unsere Bewegung ist sehr heterogen: Es gibt auf der einen Seite ganz kleine Genossenschaften mit nur fünf Wohnungen und auf der anderen Seite riesige Neubauprojekte mit bis zu 500 Wohnungen. Da sind die Bedürfnisse und die Möglichkeiten natürlich sehr unterschiedlich. Doch wir können voneinander lernen und damit unsere Bewegung stärken. Es gibt Projekte, die in Sachen Nachhaltigkeit und neue Wohnformen eine Vorreiterrolle spielen. Dann gibt es kleine Genossenschaften, die kaum Geld auf die Seite gelegt haben für Sanierungen, geschweige denn Erweiterungen oder Neubauten, und sich damit jegliche Entwicklungsmöglichkeiten verbaut haben. Es dient auch den Genossenschaften, wenn bei einer Landabgabe im Baurecht Bedingungen gestellt werden: Bildung eines Erneuerungsfonds, Belegungsrichtlinien und Einkommensgrenzen. Das verbessert auch die politische Akzeptanz.

Wenn Sie ein Haus bauen könnten, wie würde dieses aussehen? Worauf würden Sie Wert legen?

Während des Studiums habe ich in einem Haus mit acht Einzimmerwohnungen gelebt, wir waren fast alles junge Leute. Es waren helle, grosszügige Wohnungen. Wir haben viel zusammen gemacht, mal in dieser, mal in jener Wohnung, das war toll. Doch der Gemeinschaftsraum fehlte. Ideal wäre für mich eine grössere Siedlung, wo alle einen persönlichen Rückzugsraum haben, wie es diese Einzimmerwohnungen waren. Aber dazu auch gemeinschaftliche Räume, etwa fürs Co-Working oder zum Kochen und zusammen Essen. Und das alles mit Bewohnenden aus mehreren Generationen. Wenn ich so ein Projekt bauen könnte, müsste die Architektur natürlich ästhetisch ansprechend und zweckmässig sein, und es müsste Netto-Null sein. Das wäre mein Idealbild.

Fotografie
Martin Bichsel

Ariel Leuenberger

Mag Landkarten, Espresso und fremde Städte. Fährt am liebsten Velo. Leitete die Kommunikation der ABZ-Geschäftsstelle.

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