5. Dezember 2023 Ingrid Diener

Von Waschmaschine bis Siedlungsauto

Das Teilen von Gegenständen und Dienstleistungen bringt Menschen zusammen, schont Ressourcen und lässt einen etwas dazuverdienen. Über Ursprung, Formen und Voraussetzungen des Teilens.

«Das Thema Sharing ist kalter Kaffee», sagt Prof. Dr. Katja Rost, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Zürich. Und damit hat sie recht. Denn Sharing, also das Teilen von Gegenständen und Dienstleistungen, geht bis auf frühe menschliche Gesellschaften zurück. Damals war das Teilen von Nahrung, Wasser und Unterkunft Voraussetzung zum Überleben. Das Konzept ist also nichts Neues. Aber wie teilen wir heute?

Dafür wagen wir zuerst einen Blick in unsere Siedlungen. ABZ-Bewohnerin Fitore Canaj aus der Siedlung Hönggerberg erzählt: «Mit meiner Familie teile ich wirklich alles, wir sind sehr eng verbunden. Mit Nachbar:innen und Bekannten würde ich zum Beispiel mein Velo, Lebensmittel, Werkzeuge, Spielzeuge und den Kinderwagen teilen.» Auch Fitore Canajs zweijährige Tochter teilt bereits fleissig – und zwar manchmal ihren Zvieri mit anderen Kindern aus der Siedlung.

«Wir teilen auch, weil wir wissen: Wenn uns etwas fehlt, können wir auf unser Umfeld zählen.»

Fitore Canaj, ABZ-Bewohnerin aus der Siedlung Hönggerberg

ABZ-Bewohner Joshua Brunner aus der Siedlung Hochstrasse teilt regelmässig seinen Internetanschluss, Werkzeuge und Haushaltsgeräte mit anderen. Gerne würden er und seine Familie mehr teilen, zum Beispiel das Velo oder das Auto. «Der Mehraufwand ist aber relativ hoch. Man muss sich gut organisieren. Da ist es einfacher, Geld auszugeben und seine eigenen Sachen immer zur Verfügung zu haben.» Für Joshua Brunner wäre ein Siedlungsauto der Traum. «Vielleicht würden dann einige auf ihr privates Auto verzichten.»

In der realen Welt und digital

Vor der Digitalisierung fand das Teilen in der realen Welt statt. In der Bibliothek gab’s Bücher zum Ausleihen, in Secondhand-Geschäften Kleider günstig zu kaufen, und Mobility bot mit seiner Gründung in den 1990er-Jahren bereits Autos zum Teilen an. Der Klassiker in vielen Häusern und in unserer Genossenschaft ist die Waschmaschine – kaum jemand in der ABZ nutzt diese nicht gemeinsam mit seinen Nachbar:innen. Auch teilen wir in der ABZ etwa Gemeinschaftsräume, in manchen Siedlungen Gemeinschaftsgärten, den Pingpong-Tisch, allerlei auf dem Flohmarkt oder Köstlichkeiten am Tavolata-Abend.

Ende der 2000er-Jahre hat sich die sogenannte Sharing Economy entwickelt und dem Teilen weiteren Schub verliehen. Bekannt sind beispielsweise die Vermittlerin von Unterkünften Airbnb, das Veloverleihsystem PubliBike und die grösste Schweizer Sharing-Plattform Sharely. Letztere schätzt etwa ABZ-Bewohnerin Petra Kreis aus der Siedlung Dietlikon sehr aufgrund des grossen Angebots. Das analoge Teilen ist jedoch nicht ausgestorben, vielmehr ergänzen sich die beiden Möglichkeiten.

Das Teilen als Zeichen von Überkonsum

Es gibt zahlreiche gute Gründe zum Teilen: Wir sparen Ressourcen, wenn mehrere Personen das Gleiche nutzen. Wir sparen Geld, wenn wir nicht alles selbst neu kaufen müssen. Wir knüpfen Kontakte, wenn wir Sachen und Dienstleistungen teilen. Und wir können darauf hoffen, dass das Angebot beim Teilen auf Gegenseitigkeit beruht: Wenn ich teile, dann wird auch mein Gegenüber mit mir teilen. Das ist auch eine Motivation für Fitore Canaj. Sie sagt: «Wir teilen auch, weil wir wissen: Wenn uns etwas fehlt, können wir auf unser Umfeld zählen.»

Die Vorteile des Teilens liegen also auf der Hand. Bedeutet das nun, dass wir immer weniger besitzen werden? «Nein», sagt Katja Rost. «Wir leben in einer Gesellschaft, die immer mehr kauft. Das Teilen ist Ausdruck dafür, dass der Konsum überbordet.» Statt die Sachen wegzuwerfen, verkaufen die Menschen ihre Habseligkeiten. «Da steckt auch eine ökonomische Motivation dahinter. Man will also noch etwas Geld daran verdienen», sagt Rost. Das zeigt sich auch auf unserer digitalen Plattform WINK. Regelmässig bieten dort ABZ-Bewohnende Dinge an, die sie nicht mehr brauchen – da ist von der Matratze bis zum Schlittschuh alles dabei.

Gemeinschaft als Basis zum Teilen

WINK ist eine einfache Möglichkeit, mit anderen zu teilen. Im realen Leben sind die Hürden manchmal höher. Denn: Menschen teilen am ehesten mit Menschen, die sie kennen. «Wo melde ich mich, wenn ich ein Ei, Milch oder eine Bohrmaschine brauche? Bei den Nachbar:innen», sagt Katja Rost. «Teilen ist seit jeher ein Element von Nachbarschaft. Und Nachbarschaft bedeutet Gemeinschaft – diese ist heute aber häufig nicht mehr vorhanden.» Die Menschen haben dafür keine Zeit, sind mobil und damit nicht mehr so stark mit ihrem Wohnort verwurzelt wie früher. «Nur wer sich gut kennt, teilt auch miteinander», sagt Rost. «Es gilt somit, zur Gemeinschaft zurückzufinden.»

«Teilen ist seit jeher ein Element von Nachbarschaft.»

Prof. Dr. Katja Rost, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Zürich

Gemeinschaft gehört zum Kern der ABZ. Schliesslich steht in unserer Strategie 105+: «Die Stärkung von Nachbarschaft und Gemeinschaft ist uns in der ABZ wichtig. Wir unterstützen Freiwillige bei ihrer Arbeit in Kommissionen und Aktivgruppen.» Unsere Genossenschaft ist also prädestiniert, dem Thema Sharing weiteren Schub zu verleihen. Das Engagement unserer Bewohnenden ist dabei unerlässlich. Bauen Sie sich also ein Netzwerk auf – auch über die ABZ hinaus. Seien Sie mutig und klingeln Sie bei Ihren Nachbar:innen, sollten Sie Hilfe brauchen. Nutzen Sie die digitalen Tauschplattformen. Und: Tun Sie sich mit Ihren Nachbar:innen zusammen und besprechen Sie, wie Sie noch mehr und bequemer teilen können innerhalb Ihrer Siedlung. Vielleicht wird so auch der Traum wahr vom eigenen Siedlungsauto.

Illustrationen
Svenja Plaas

Ingrid Diener

Ist Wandervogel, Federer-Fan und Teetrinkerin. Hat am liebsten Sommer. Bei der ABZ für die Kommunikation im Einsatz.

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