28. März 2023 Ingrid Diener

Aus Gemeinschaftsraum wird Wohnzimmer

Die Gemeinschaftsräume werden zum «erweiterten Wohnzimmer». Die Siedlung Kanzlei hat das bereits ausprobiert. Ihr Fazit: Funktioniert mässig, wir profitieren aber trotzdem.

«Bisher waren die Gemeinschaftsräume in unseren Siedlungen hauptsächlich auf die Durchführung von Veranstaltungen wie die Mieterjahresversammlung ausgerichtet», sagt Jonas Bösiger, Leiter Soziales und Genossenschaftskultur bei der ABZ. «Das haben wir nun geändert.» Bösiger spricht damit die aktualisierten Richtlinien für die Nutzung der Gemeinschaftsräume an. Diese besagen unter anderem neu, dass die Gemeinschaftsräume «als Begegnungsort dienen, wo man sich spontan treffen kann («erweitertes Wohnzimmer»).»

«Wir fragten uns: Wie können die Bewohnenden den Gemeinschaftsraum nutzen?»

Silvana Schumacher, ABZ-Bewohnerin Siedlung Kanzlei

Budget für Gestaltung des Gemeinschaftsraums

Die Gemeinschaftsräume sind also nicht mehr ein Saal mit Küche, Tischen und Stühlen. Die Bewohner:innen sollen hingegen den Raum unterschiedlich nutzen können: zum Beispiel als Lounge oder Nähatelier, für Yogastunden und Homeoffice. Den Ideen sind kaum Grenzen gesetzt. Entscheidend ist, was die Bewohner:innen aus ihrem Raum machen.

Mit den multifunktionalen Gemeinschaftsräumen legt die ABZ die Basis. Für alle Neu- und Ersatzneubauten werden die Gemeinschaftsräume so ausgerichtet, dass sie für kleinere Anlässe gut genutzt werden können. Die Räume werden tendenziell kleiner, dafür stehen je nach Siedlungsgrösse zwei zur Verfügung. Zudem stellt die ABZ die Grundausstattung: Küche, Küchengeräte, Bodenbeläge, Garderobe, Schränke, Beleuchtung sowie Stühle, Tische, Vorhänge und Geschirr. Weiteres muss die Siedlungskommission respektive die verantwortliche Bewohnergruppe beschaffen. Das ist ihre Chance, den Raum nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Dafür spricht die ABZ-Geschäftsstelle ein Budget.

Die Siedlung Kanzlei im Zürcher Kreis 4. Die Bewohner:innen haben aus ihrem Gemeinschaftsraum ein Wohnzimmer gestaltet.

«Unsere Vision war, dass der Raum vielfältig bespielbar würde: zum Nähen, Basteln, Tauschen, Spielen. Eine offene Türe bedeutete: ‹komm herein, hier geht was›.»

Silvana Schumacher, ABZ-Bewohner Siedlung Kanzlei

«Komm herein, hier geht was»

Von diesem Budget hat etwa die Siedlung Kanzlei Gebrauch gemacht – und sich damit ein Wohnzimmer im Gemeinschaftsraum eingerichtet. Treiber dafür war die Pandemie. Siko-Mitglied Silvana Schumacher und ihre Nachbarin Vanessa Looser wollten den Gemeinschaftsraum zugänglicher machen. «Dieser riesige Raum mitten im Zürcher Kreis 4 stand einfach leer. Alle waren Zuhause eingesperrt. Deshalb fragen wir uns: Wie können die Bewohnenden den Gemeinschaftsraum nutzen?» erzählt Silvana Schumacher. Zuerst erhöhten sie die Zugänglichkeit. Der Raum konnte nun nicht nur via Telefon, sondern auch über E-Mail reserviert werden. Sie installierten einen Schlüsselkasten, das machte die Schlüsselübergabe hinfällig. Und in einem Kalender war ersichtlich, wann der Gemeinschaftsraum belegt war. Sie richteten das neue Wohnzimmer mit Sofa, Pflanzen, Lampen, Teppich und Klavier ein. «Unsere Vision war, dass der Raum vielfältig bespielbar würde: zum Nähen, Basteln, Tauschen, Spielen. Eine offene Türe bedeutete: ‹komm herein, hier geht was›», so Schumacher.

In der Realität nutzen die Bewohner:innen den Raum nicht so wie geplant. «Das Angebot steht aber weiterhin», sagt Schumacher. Erfreulich ist, dass der Raum mehr reserviert wird. Das Angebot, via E-Mail buchen zu können, hat sich also gelohnt. Und im Gemeinschaftsraum finden zahlreiche Veranstaltungen statt, von dem die Siedlung und das Quartier profitieren. So gab es schon Tanzworkshops, Kunstausstellungen und Anlässe von Kulturvereinen.

«Wichtig ist, dass die Bewohnenden aus der Siedlung gemeinsam ihre Bedürfnisse für den Gemeinschaftsraum klären. Sonst entstehen Konflikte.»

Jonas Bösiger, Leiter Soziales und Genossenschaftskultur bei der ABZ

Für die Siedlung und das Quartier

Das Beispiel Kanzlei zeigt: Besteht in einer Siedlung das Bedürfnis zur Veränderung des Gemeinschaftsraums zugunsten des Zusammenlebens in der Siedlung, kann die Siedlung dies eigenständig umsetzen und bei Bedarf unterstützt die ABZ-Geschäftsstelle. Nicht nur Neu- und Ersatzneubauten profitieren also von den neuen Richtlinien. Und sowohl die spontane Nutzung als auch grössere Anlässe mit Reservation können nebeneinander funktionieren. «Wichtig ist, dass die Bewohnenden aus der Siedlung gemeinsam ihre Bedürfnisse für den Gemeinschaftsraum klären. Sonst entstehen Konflikte», sagt Jonas Bösiger. Festgehalten ist in den Richtlinien zudem, dass die Gemeinschaftsräume auch dem Quartier zur Verfügung stehen – so setzt es auch die Siedlung Kanzlei um. Damit sind die Räume Mehrwert über unsere Siedlungen hinaus.

Die aktualisierten Richtlinien für ABZ-Gemeinschaftsräume sind auf WINK einsehbar unter Dienste/ABZ-Dokumente/Siko (Zugang nur für ABZ-Bewohner:innen).

Fotografie
Reto Schlatter, Siko Kanzlei

Ingrid Diener

Ist Wandervogel, Federer-Fan und Teetrinkerin. Hat am liebsten Sommer. Bei der ABZ für die Kommunikation im Einsatz.

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