2. April 2024 Lena Tovar

«Jeder Besuch ist besonders»

Ursula Schulthess verantwortet seit fast fünf Jahren den sogenannten Besuchsdienst in den Siedlungen Owenweg, Balberstrasse und Mutschellenstrasse. Im Interview erklärt sie, was sich dahinter verbirgt.

Wenn Sie kürzlich in der Siedlung Owenweg, Balberstrasse oder Mutschellenstrasse einen Unfall gehabt haben, klingelt vielleicht bald schon Ursula Schulthess an Ihrer Haustür. Die 67-Jährige lebt seit fast 48 Jahren in der ABZ und ist verantwortlich für den Besuchsdienst. Dabei überbringt Ursula Schulthess Nachbar:innen, die verunfallt oder erkrankt sind, Angehörige verloren oder Nachwuchs bekommen haben, eine kleine Aufmerksamkeit. Und beweist damit: Engagement muss nicht immer im grossen Rahmen stattfinden, sondern bereits kleine Gesten stärken die Nachbarschaft.

Frau Schulthess, seit wann gibt es den Besuchsdienst und wie lange engagieren Sie sich schon?

Den Besuchsdienst gibt es vermutlich schon mehrere Jahrzehnte. Ich habe ihn zum ersten Mal in den 90er-Jahren gemacht, hatte dann aber keine Zeit mehr. Nach meiner Pensionierung 2020 bin ich von einer Nachbarin angesprochen worden, ob ich den Dienst nicht wieder übernehmen möchte. Noch im Gespräch habe ich zugesagt.

Wie oft sind Sie für den Besuchsdienst unterwegs?

Es variiert stark, aber grob würde ich 10 bis 15 Besuche pro Jahr schätzen. Als ich mit dem Besuchsdienst im Jahr 2020 wieder begonnen habe, waren wir mitten in der Pandemie und Besuche waren schwierig. Aber nun werden es von Jahr zu Jahr mehr.

Der Besuchsdienst ist eine sehr schöne Aufgabe und die Menschen haben viel Freude daran.

Ursula Schulthess, ABZ-Bewohnerin

Wen betreuen Sie im Rahmen des Besuchsdienstes?

Es gibt drei Kategorien: Krankheiten beziehungsweise Unfälle, Geburten, Todesfälle. In unseren drei Siedlungen kommt mindestens ein Baby pro Jahr zur Welt. Todesfälle betreue ich am wenigsten, obwohl wir eine Siedlung mit vielen älteren Bewohnenden sind. Die meisten Besuche mache ich aufgrund von Krankheit oder Unfall.

Wie sehen die Besuche aus?

Jeder Besuch ist besonders – egal ob Krankheit, Geburt oder Todesfall. Ich melde mich vorher telefonisch bei den Personen und frage sie, mit welchem Geschenk wir ihnen eine Freude machen dürfen. Manche Menschen teilen mir dann mit, dass sie keinen Besuch möchten. Das respektiere ich natürlich. Beim Besuch selbst sitzen wir meistens am Tisch und schwätzen, mal gibts Kaffee, mal sogar Kuchen. Darüber freue ich mich sehr, aber das erwarte ich nicht. Nach rund einer Stunde verabschiede ich mich wieder.

ABZ-Bewohnerin Ursula Schulthess macht im Rahmen des Besuchsdiensts pro Jahr circa 10 bis 15 Besuche.

Woher wissen Sie, bei wem eine Geburt ansteht oder wer erkrankt ist?

Es gibt in allen Häusern einen Aushang im Treppenhaus mit meiner Telefonnummer drauf. Normalerweise sind es die Nachbar:innen, die mich informieren. Manchmal rufen die betroffenen Personen auch selbst an. Die ABZ-Geschäftsstelle darf keine persönlichen Daten herausgeben. Ich habe ausserdem eine liebe Kollegin, die sehr gut in der Siedlung vernetzt ist. Von ihr erhalte ich häufig Hinweise.

Welche Bedeutung hat der Besuchsdienst in Ihren Augen für eine gute Nachbarschaft?

Es ist ein wichtiger Dienst, gerade in unserer heutigen Zeit. Ich beobachte leider, dass der genossenschaftliche Gedanke zunehmend an Wert verliert. Das ist sehr schade, vor allem für Personen, die älter und alleinstehend sind. Die haben Freude, wenn überhaupt mal jemand auftaucht. Der Besuchsdienst trägt in meinen Augen den genossenschaftlichen Gedanken weiter.

«Der Besuchsdienst trägt in meinen Augen den genossenschaftlichen Gedanken weiter.»

Ursula Schulthess, ABZ-Bewohnerin

Würden Sie anderen Siedlungen empfehlen, auch einen Besuchsdienst einzuführen?

Absolut. Es ist eine sehr schöne Aufgabe und die Menschen haben viel Freude daran. Die Kosten für die Geschenke betragen jährlich 300 bis 500 Franken. Ich denke, das kann jede SIKO stemmen.

Welche Besuche sind Ihnen besonders im Kopf geblieben?

Ich mag mich noch an meinen ersten Besuch vor fünf Jahren während der Corona-Pandemie erinnern. Diesen Mann kenne ich schon ewig, leider war er erkrankt und ich habe ihm gesagt, dass ich für den Besuch einen Kuchen backe. Scheinbar wusste seine Frau nichts davon – und so hatten wir am Ende zwei Kuchen auf dem Tisch. Ein anderer Nachbar hat im letzten Jahr einen Unfall gehabt. Zum Dank für meinen Besuch ist er noch mit Gips in seinen kleinen Garten gegangen und hat mir Gemüse geschenkt. Sowas ist toll und verbindet.

Fotografie
Lena Tovar, Unsplash

Lena Tovar

Mag Menschen, Magazine und Sommertage in der Badi. Reist am liebsten mit dem Zufall. Ist für die ABZ als Freelancerin unterwegs.

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