31. Mai 2022 Ingrid Diener

Verführen, vermehren, verdrängen

Über 500 Pflanzen wurden in den letzten 500 Jahren aus anderen Kontinenten nach Europa eingeführt. Ein Teil davon bedroht unsere einheimischen Arten. Zeit, diese invasiven Neophyten genauer unter die Lupe zu nehmen.

Er sieht prächtig aus und duftet herrlich – der Sommerflieder. Deshalb ist er eine beliebte Zierpflanze für Siedlungen und Gärten. Doch hinter der freundlichen Gestalt verbirgt sich ein falscher Freund. Der Grund: Der Sommerflieder ist ein sogenannter invasiver Neophyt. Neophyten – aus dem Griechischen übersetzt «neue Pflanzen» – sind Pflanzen, die ursprünglich hier nicht heimisch sind und seit der Entdeckung Amerikas 1492 absichtlich oder unabsichtlich aus anderen Kontinenten nach Europa eingeführt wurden, häufig als Zierpflanzen.

In der Schweiz gibt es 500 bis 600 Neophyten. Der Grossteil hat sich gut in unsere Natur integriert, 58 von ihnen sind jedoch invasiv: Sie vermehren sich leicht, breiten sich damit stark aus und nehmen den heimischen Pflanzen den Lebensraum weg. Das gefährdet einerseits die Artenvielfalt der Pflanzen. Andererseits nimmt auch die Vielfalt der Tiere ab, weil beispielsweise Insekten wie Raupen und Schmetterlinge auf ganz bestimmte einheimische Pflanzen spezialisiert sind und sich nur von diesen ernähren. Verschwinden sie, verschwinden auch die Tierchen mehr und mehr.

Zudem können sich invasive Neophyten negativ auf die Gesundheit des Menschen auswirken. So ist es möglich, dass sie Allergien auslösen und Hautausschläge hervorrufen. Zudem sind sie imstande, Fassaden zu beschädigen zum Beispiel durch übermässigen Wuchs. Und das führt womöglich zu aufwändigen Unterhaltsarbeiten. Aufgrund der Schäden für Natur, Tier, Mensch und Infrastruktur muss der Verbreitung der invasiven Neophyten entgegengewirkt werden.

«Mit unseren über 500’000 Quadratmetern Grünflächen sind wir verpflichtet, einen Beitrag zur Artenvielfalt zu leisten.»

Nico Linggi, Leiter Gebäude und Umgebung

Von links: Einjähriges Berufkraut, Kanadische Goldrute, Schmalblättriges Greiskraut, Sommerflieder, Japanischer Staudenknöterich

«Wir nehmen unsere Verantwortung wahr»

Auch die ABZ hat sich die Bekämpfung invasiver Neophyten auf die Fahne geschrieben. Schliesslich setzt sie sich gemäss ihrer Strategie ABZ 105+ ein für eine zukunftsfähige Welt für Mensch und Natur. «Mit unseren 58 Siedlungen und über 500 000 Quadratmetern Grünflächen sind wir verpflichtet, einen Beitrag zur Artenvielfalt zu leisten», sagt Nico Linggi, Leiter Gebäude und Umgebung. «Und diese Verantwortung nehmen wir wahr.» Basis dafür ist das Konzept Artenvielfalt, das unsere Ziele zu diesem Thema definiert und konkrete, standortspezifische Massnahmen festhält.

So hat die ABZ zum Beispiel in der Siedlung Im Moos 2020 im Zug der ökologischen Aufwertung des Grünraums 40 Kubikmeter Kirschlorbeer entfernt – das entspricht 50 Abfallcontainern. Auch in den Siedlungen Goldregenweg und Oberwiesen wurde letztes Jahr Kirschlorbeer und Sommerflieder entfernt. Neben diesen beiden invasiven Neophyten kommen in der ABZ am häufigsten vor: das Einjährige Berufkraut, die Kanadische Goldrute, das Schmalblättrige Greiskraut, der Japanische Staudenknöterich, der Essigbaum, der Götterbaum und die Robinie (siehe Illustrationen).

Von links: Essigbaum, Robinie, Götterbaum

Aufwändige Bekämpfung

Gemäss Mirco Huber, Teamleiter Aussenraum bei der ABZ, ist die Bekämpfung der invasiven Neophyten aufwändig: Beim Japanischen Staudenknöterich beispielsweise muss man gemäss Huber «extrem dranbleiben». Es kann nämlich sein, dass er nach dem Ausgraben ein Jahr wegbleibt, dann aber wieder austreibt. Deshalb werden etwa die Siedlungen Mutschellenstrasse und Hönggerberg regelmässig daraufhin kontrolliert. Und beim Einjährigen Berufkraut hilft Jäten – «und zwar bevor die Samen entstehen und mit dem Wind verbreitet werden», erklärt der Gärtner.

Das Team Aussenraum beschäftigt sich während des ganzen Jahres mit den invasiven Neophyten. «Wir tolerieren diese Pflanzen in unseren Siedlungen nicht», sagt Huber. Dennoch ist es für die Mitarbeitenden nicht möglich, in unseren grossen Grünräumen jede einzelne gebietsfremde Pflanze zu entdecken und zu entfernen – das gilt besonders auch für die Pflanzen auf den Balkonen und Terrassen der Bewohnenden. «Fällt uns jedoch etwas auf, melden wir das den Bewohnenden, denn jeder invasive Neophyt richtet Schaden an. Dann empfehlen wir alternative Pflanzen», sagt Huber. Das sind zum Beispiel Wildstauden wie das Ochsenauge und Margeriten sowie Heilpflanzen und Kräuter wie das Echte Johanniskraut, Oregano, Thymian, Salbei und Rosmarin.

Wer glaubt, in seiner oder ihrer Siedlung invasive Neophyten gesehen zu haben, kann sich beim ABZ-Service melden. So wird die Information den verantwortlichen Gärtnern weitergegeben und diese prüfen den Hinweis. «Wir freuen uns, wenn uns die Bewohnerinnen und Bewohner unterstützen», so Huber. Interessierte können zudem die Broschüre zum Thema beim ABZ-Service bestellen. Es stellt die häufigsten invasiven Neophyten vor.

Alle können mitanpacken

Sie können aber noch mehr tun gegen invasive Neophyten. Unsere Gärtner empfehlen:

  • Balkon oder Terrasse auf invasive Neophyten prüfen. Zum Beispiel mit der kostenlosen App Plantnet.
  • Kleine invasive Neophyten können Sie selbst samt Wurzel entfernen. Achtung: nicht im Kompost, sondern im Kehricht entsorgen.
  • Nur einheimische Pflanzen kaufen und anpflanzen. Diese Assistenten können dabei helfen: floretia.ch, futureplanter.ch.
  • Sprechen Sie mit Ihren Nachbarinnen und Nachbarn über das Thema. Tauschen Sie sich aus, erzählen Sie von Ihren Erfahrungen und teilen Sie Ihre Tipps und Informationsquellen.
  • Melden Sie sich bei Fragen beim ABZ-Service.

So wollen wir gemeinsam mit unseren Bewohnerinnen und Bewohnern nach und nach die Artenvielfalt stärken – damit Sommerflieder und Co. in unseren Breitengraden bald der Vergangenheit angehören.

Illustrationen
Karin Widmer, hookillus.ch
BOTANICA, Garten- und Pflanzenführer, mit freundlicher Genehmigung von Hortus Botanicus Helveticus, botanica-suisse.org/hbh

Ingrid Diener

Ist Wandervogel, Federer-Fan und Teetrinkerin. Hat am liebsten Sommer. Bei der ABZ für die Kommunikation im Einsatz.

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