6. Dezember 2022 Cynthia Grasso

Wie Nachbarschaft in der Schweiz funktioniert

Wir alle haben Nachbar:innen. Dennoch ist das Thema Nachbarschaft bis anhin kaum erforscht. Das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) zeigt nun in einer repräsentativen Umfrage, welche Nachbarschaftstypen hierzulande dominieren und was sich Nachbar:innen wünschen.

Sommerabende am Grill und lachende Kinder auf dem Spielplatz gehören genauso zum Nachbarschaftsleben wie Frust in der Waschküche oder im Treppenhaus. Doch wie leben Nachbar:innen in der Schweiz wirklich mit- und nebeneinander? In der im August 2022 publizierten repräsentativen Studie «Hallo Nachbar:in (die grosse Schweizer Nachbarschaftsstudie)» hat das GDI 1021 Nachbar:innen auf den Zahn gefühlt.

Das Zufriedenheitsbarometer in Schweizer Nachbarschaften zeigt nach oben: 75 Prozent der Befragten fühlen sich wohl in der eigenen Nachbarschaft. Die Menschen vertrauen sich, auch wenn sie ein eher distanziertes Verhältnis haben. Trifft man sich im Quartier, im Treppenhaus oder beim Briefkasten, wird gerne ein Schwatz gehalten. Auch Gärten und Kinderspielplätze sind beliebte Treffpunkte für spontane Treffen.Die Hälfte der Befragten ist mit solch losen Kontakten ohne Verpflichtung zufrieden. Spannend wird es, wenn man nur die Stadtbevölkerung anschaut: Hier wünscht sich immerhin ein Viertel mehr soziale Kontakte. Auch in der Westschweiz pflegen die Menschen tendenziell mehr soziale Interaktion. Ältere Menschen und Familien mit Kindern haben übrigens am meisten Kontakt zu ihren Nachbarn.

Regelmässiger Austausch in der Nachbarschaft gehört für die Inspirationssucher:innen dazu.

Erfreulich ist die hierzulande vorherrschende Hilfsbereitschaft: Briefkasten leeren während der Ferien? Für 48 Prozent der Teilnehmenden kein Problem. Satte 67 Prozent helfen gerne mit Lebensmitteln und Werkzeug aus. Auch Punkto Sicherheit ist das Umfrageresultat erfreulich: Drei Viertel der Befragten fühlen sich im eigenen Quartier sicher. Wohl auch, weil sie wissen, dass man füreinander da ist, auch wenn man sich nicht zwingend zu Kaffee und Kuchen verabredet. Die Coronakrise hat die Art von Nachbarschaftsbeziehungen indes nicht grundsätzlich verändert: Dass sich die Menschen aktiv umeinander kümmern, hat sich während der Pandemie einfach vermehrt geäussert.

Bei den Beziehungssuchenden herrscht Toleranz vor.
Die Distanzierten schätzen den unkomplizierten Austausch im Treppenhaus.

Über Inspiration, Distanz und Beziehung: Diese Nachbarschaftstypen gibt es

Die Autor:innen der GDI-Studie haben vier verschiedene Nachbarschaftstypen definiert, die sich in ihren Vorstellungen zur Bedeutung von Nachbarschaft unterscheiden:

Die Distanzierten (47%)

Sie mögen flexible Distanz: Unangemeldet mit einer Flasche Wein vorbeikommen? Nichts für Distanzierte, denn Privatsphäre bedeutet diesen Menschen alles. Natürlich schätzt man den unkomplizierten Austausch an Anlässen oder im Treppenhaus und hilft einander, wenn immer es nötig ist. Dies bedeutet aber nicht, dass die Haustür quasi offen steht.

Die Inspirationssucher:innen (30%)

Welche neuen, inspirierenden Lebensformen gibt es? Wie schaffen wir es, gemeinsam ein kreatives Projekt auf die Beine zu stellen? Solche Fragen sind Inspirationssucher:innen wichtig. Respekt und Solidarität werden aktiv gelebt, regelmässiger Austausch in der Nachbarschaft gehört für die Inspirationssucher:innen einfach dazu.

Sicherheit, Verlässlichkeit und gemeinsame Werte stehen für die Wertorientierten im Zentrum.

Die Beziehungspfleger:innen (14%)

Die Nachbarschaft als erweiterte Familie? Kein Problem für die Beziehungspfleger:innen. Das Gemeinschaftsgefühl steht dabei im Mittelpunkt. Vorherrschend dabei ist Toleranz. Lädt der Nachbar jeden Freitag seine Kumpels zur gemeinsamen Gitarrensession ein und wird es dann einmal lauter: kein Grund für Stress für die Beziehungspfleger:innen.

Die Werteorientierten (9%)

Sicherheit, Verlässlichkeit und gemeinsame Werte stehen für diese Nachbarn im Zentrum: Spielregeln sind da, um befolgt zu werden. Auch punkto Ordnung und Sauberkeit ist man sich einig. Respektvolle Distanz und Hilfsbereitschaft sorgen für ein Gefühl von Sicherheit und Verlässlichkeit, ohne dass man deswegen gleich zusammen einen Kräutergarten anlegen muss.

Lesen Sie hier die ganze GDI-Studie.

Illustration
Svenja Plaas

Cynthia Grasso

Mag Menschen, Bücher und Natur. Leitet die Kommunikation der ABZ.

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