11. März 2024 Ingrid Diener

«Nachhaltiges Verhalten geht oft mit mehr Lebensqualität einher»

Sein Leben für mehr Nachhaltigkeit zu verändern, kann das persönliche Wohnbefinden verbessern. Verhaltenspsychologin Bernadette Sütterlin erklärt im Interview die Gründe und gibt Tipps, wie Sie Ihre Gewohnheiten aufbrechen können.

Verhaltenspsychologin Bernadette Sütterlin von der ZHAW weiss: Gewohnheiten aufzubrechen, ist für uns Menschen herausfordernd. Denn wir haben eine «angeborene Vorliebe für den Ist-Zustand». Sie erklärt, wie wir dennoch unser Verhalten für mehr Nachhaltigkeit verändern können, welchen Einfluss unsere Nachbar:innen darauf haben und warum wir dadurch gar unsere Lebensqualität erhöhen können.

Warum mögen Menschen vielfach Veränderungen nicht?

Menschen haben eine angeborene Vorliebe für den Ist-Zustand. Das Aufrechterhalten dieses Zustandes ist geistig weniger anstrengend, als etwas Neues auszuprobieren. Zudem ist eine Verhaltensänderung mit Unsicherheiten verbunden. Das steht im Widerspruch zum Bedürfnis nach Sicherheit, Kontrolle und der Vermeidung von Unvorhersehbarem.

Wann sind Menschen dennoch dazu bereit, sich zu verändern?

Wir Menschen unterscheiden uns in unseren Werten, Interessen, Lebensstilen und Fähigkeiten. Entsprechend sind wir für manche Massnahmen zur Verhaltensänderung empfänglicher als für andere. Beispielsweise können materialistisch orientierte Personen eher durch finanzielle Anreize zu einer Verhaltensänderung bewegt werden. Personen, die schon eine innere Motivation für nachhaltiges Verhalten mit sich bringen, können hingegen eher mit weichen Massnahmen wie Informationskampagnen erreicht werden. Bei der Kommunikation ist es wichtig, im Zusammenhang mit nachhaltigem Verhalten nicht nur von Verzicht zu sprechen. Vielmehr sind die positiven Effekte in Bezug auf Lebenszufriedenheit, Gesundheit und Wohlbefinden zu betonen.

«Menschen müssen die Gelegenheit haben, ihr Verhalten einfach und ohne grossen Aufwand zu ändern.»

Bernadette Sütterlin, Verhaltenspsychologin

Welche Voraussetzungen müssen für eine Verhaltensänderung gegeben sein?

Menschen müssen die Gelegenheit haben, ihr Verhalten einfach und ohne grossen Aufwand zu ändern. Dafür ist es wichtig, attraktive und einfach zugängliche Möglichkeiten für ein umweltfreundliches Verhalten zu schaffen. Als umweltfreundliche Alternativen zum Privatauto könnten das beispielsweise attraktive Carsharing-Angebote oder gute ÖV-Anbindungen sein. Zusätzlich müssen die Menschen selbst auch in der Lage sein, ihr Verhalten zu ändern. Zum Beispiel sollten sie über die finanziellen Mittel dazu verfügen und über die alternativen Möglichkeiten Bescheid wissen. Auch Nudging-Strategien sind ein wirksames Mittel, um Personen zu einem nachhaltigeren Verhalten zu bewegen.

Was sind Nudging-Strategien?

Beim Nudging wird eine Entscheidungssituation so gestaltet, dass das Verhalten subtil in die gewünschte Richtung gelenkt wird. Die Entscheidungsfreiheit wird gewahrt, es werden keine finanziellen Anreize eingesetzt und es wird auf keine Verbote oder Gebote zurückgegriffen. Ein Beispiel für Nudging ist die optische Hervorhebung eines gewünschten Verhaltens. So führt etwa die Gestaltung einer Treppe mit farblichen Akzenten, Pfeilen oder witzigen Sprüchen dazu, dass mehr Personen die Treppe anstatt des Aufzugs nehmen. Nudging funktioniert vor allem bei Entscheidungen, bei denen die Involviertheit eher tief ist und die nicht mit hohen persönlichen Kosten oder einschneidenden Konsequenzen verbunden sind.

«Sich selbst klare Ziele zu setzen, kann helfen, eine Verhaltensänderung in Angriff zu nehmen und die Motivation aufrechtzuerhalten.»

Bernadette Sütterlin, Verhaltenspsychologin

Der Klimawandel bedroht die Menschheit. Warum schaffen wir es trotzdem nicht, unser Verhalten zu ändern?

Das Bewusstsein für den Klimawandel ist eine wichtige Voraussetzung für eine Verhaltensänderung, das reicht aber nicht aus. Auf dem Weg zur Verhaltensänderung gilt es, einige Hürden zu überwinden. Das können zum Beispiel Disziplinlosigkeit oder die Unvereinbarkeit mit dem persönlichen Lebensstil sein. Es können auch die Möglichkeiten fehlen, zum Beispiel in Form von attraktiven umweltfreundlichen Reisezielen und Transportmitteln. Auch das menschliche Denken kann die Bereitschaft zur Verhaltensänderung negativ beeinflussen. Evolutionär bedingt liegt unser Fokus stark auf dem Hier und Jetzt. Das unmittelbare Erlebnis einer Handlung empfinden wir Menschen daher attraktiver als eine zeitlich verzögerte und ungewisse Belohnung für eine umweltfreundliche Handlung. Jetzt mit dem Flugzeug in die Ferien zu reisen, erscheint also attraktiver als die positiven Auswirkungen des Verzichts auf diese Ferien, die sich vielleicht irgendwann in Zukunft zeigen werden.

Wie können wir unser Verhalten für den Klimawandel dennoch ändern?

Sich selbst klare Ziele zu setzen, kann helfen, eine Verhaltensänderung in Angriff zu nehmen und die Motivation aufrechtzuerhalten. Die Ziele sollten ambitioniert, aber machbar und möglichst konkret sein, zum Beispiel: «In den nächsten drei Monaten reduziere ich meinen Stromverbrauch um 10 Prozent.»

Welche Rolle spielen Gewohnheiten?

Gewohnheiten sind ein grosses Hindernis für eine Verhaltensänderung und es ist schwierig, diese aufzubrechen. Es hilft, konkrete Wenn-Dann-Pläne für bestimmte Situationen zu formulieren. Möchte man beispielsweise die Treppe statt des Aufzugs nutzen, könnte ein Wenn-Dann-Plan sein: «Wenn ich das Gebäude betrete, steuere ich direkt auf das Treppenhaus zu» oder «Wenn Nachbar:innen vor dem Aufzug stehen, frage ich sie, ob wir gemeinsam die Treppen nehmen». Der Beschluss für das Verhalten ist somit von Anfang an gefasst und die Umsetzung erfolgt ohne grosses Abwägen. Wenn das Verhalten mit einem Zusatznutzen verbunden ist – zum Beispiel Treppenlaufen hält fit – kann das zusätzlich motivieren.

Das Leben in einer Genossenschaft bietet äusserst förderliche Rahmenbedingungen, um einen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit anzustossen.

Bernadette Sütterlin, Verhaltenspsychologin

Kann es sich für das persönliche Wohlempfinden lohnen, sich zu verändern?

Nachhaltiges Verhalten geht oft mit mehr Lebensqualität einher. Nimmt man etwa das Velo statt des Autos, wirkt sich das positiv auf die Gesundheit aus. Ein genügsamer Lebensstil kann zu mehr Freiheit in Bezug auf Zeit und Raum führen, weil man dadurch Ballast abwerfen und sich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Das Bewusstsein, dass man ein sinnstiftendes, moralisch gutes Verhalten zeigt, erhöht zudem das Wohlbefinden und damit die Zufriedenheit.

Kann das Leben in einer Genossenschaft eine Verhaltensveränderung für ein nachhaltigeres Leben fördern?

Der Mensch ist ein soziales Wesen und möchte Teil einer Gruppe sein. Deshalb orientiert er sich stark am Verhalten anderer. Das Verhalten Dritter stellt eine soziale Norm dar – ein ungeschriebenes Gesetz, wie man sich verhalten soll. Menschen möchten diesen Normen entsprechen, um Anerkennung zu erhalten. Der Einfluss von sozialen Normen ist dann besonders stark, wenn die Gruppe für eine Person relevant ist, wie etwa die Nachbar:innen. Nutzen die Nachbar:innen umweltfreundliche Transportmittel, ist man eher motiviert, sich umweltfreundlich fortzubewegen. Die Einbindung in ein soziales Netzwerk hat also eine positive Wirkung auf nachhaltiges Verhalten. Deshalb bietet das Leben in einer Genossenschaft äusserst förderliche Rahmenbedingungen, um einen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit anzustossen.

Fotografie
zVg

Ingrid Diener

Ist Wandervogel, Federer-Fan und Teetrinkerin. Hat am liebsten Sommer. Bei der ABZ für die Kommunikation im Einsatz.

Artikel teilen