13. August 2020 Lena Tovar

«Es ist Zeit für neue Kräfte und Ideen»

Martin Grüninger war 22 Jahre lang Bereichsleiter Bau und Entwicklung der ABZ und Mitglied der Geschäftsleitung. Nun schlägt er einen neuen Weg ein und wird Verantwortlicher für die Immobilienstrategie – ohne der ABZ den Rücken zu kehren.

Herr Grüninger, Sie sind 1998 zur ABZ gekommen. Was hat Sie damals dazu bewogen?

Bei der ABZ hat mich unter anderem das Genossenschaftsmodell gereizt, von dessen Ur-Form ich überzeugt war und bis heute bin. Auch der anstehende Erneuerungsbedarf vieler Siedlungen lockte mich, genauso wie die Projektgrössen. Und ich suchte eine Linienfunktion mit Verantwortung, nachdem ich zehn Jahre lang im Consulting für Bau- und Organisationsprojekte tätig gewesen war. Ursprünglich hatte ich geplant, vier bis fünf Jahre bei der ABZ zu bleiben. Nun sind es bereits 22 geworden.

Gibt es ein Bauprojekt, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Jedes Bauvorhaben ist auf seine Weise einzigartig, doch ein spezielles Projekt war sicher der Glattpark. Entwicklung und Realisierung dauerten über zwölf Jahre: 2007 sind wir mit ersten Analysen gestartet, 2019 wurden die letzten Wohnungen bezogen. Die Siedlung Glattpark ist auch das grösste Projekt, das in meiner Zeit realisiert worden ist.

Worauf sind Sie in Ihrer Laufbahn bei der ABZ besonders stolz?

Stolz bin ich auf das Gesamtergebnis der letzten 22 Jahre. Bei meinem Start besass die ABZ 3577 Wohnungen, heute sind es rund 5200, und in zehn Jahren werden es etwa 6000 sein. Eigentlich befindet sich die ABZ seit über 20 Jahren in einem Transformations- und Erneuerungsprozess. Ich freue mich sehr, dass ich diesen von Beginn an begleiten, mitgestalten und mitprägen konnte. Natürlich ist das nicht nur meine Leistung: Ich hatte immer tolle Kolleginnen und Kollegen und auch das Vertrauen des Vorstandes sowie der Mitglieder. Und nicht zuletzt die Unterstützung meiner Frau, die praktisch immer und für fast alles Verständnis aufbrachte und mir den Rücken freihielt.

«Ich hatte immer tolle Kolleginnen und Kollegen und auch das Vertrauen des Vorstandes sowie der Mitglieder.»

Martin Grüninger, Mitglied der Geschäftsleitung

Was war in dieser Zeit die grösste Herausforderung für Sie?

Das laufende Koch-Areal hat mich ziemlich gefordert. Dort entwickeln wir gemeinsam mit drei anderen Bauträgern bereits seit drei Jahren, auch die Stadt ist involviert. Durch die Komplexität gibt es viele Schnittstellen und Abhängigkeiten – und immer wieder Schlaufen, man muss viel und sorgfältig kommunizieren. Ausserdem erinnere ich mich noch an den Moment im Frühling 2010, als wir quasi über Nacht nur noch zu dritt in der Geschäftsleitung waren und ich den Bereich Bewirtschaftung übernehmen musste. Zuerst aus der Not heraus, dann aber für sieben Jahre freiwillig und mit Freude. Das war eine intensive Zeit.

Haben Sie ein Ritual, das Sie bis heute beibehalten haben?

Früh aufstehen. Ich bin ein Morgenmensch und meist um halb sieben im Büro. Und den Kaffee am Morgen, den brauche ich immer. Seit einiger Zeit aber ohne Zucker.

Nach 22 Jahren werden Sie sich nun einer neuen Herausforderung in der ABZ widmen. Wie kam es dazu?

Ich bin jetzt 61 Jahre alt. In den vergangenen Jahren konnte ich viele interessante Projekte realisieren und mit tollen Menschen zusammenarbeiten, aber ich habe «Ihrer Majestät ABZ» vieles untergeordnet. Ich will und muss nun etwas kürzertreten. Ausserdem ist es an der Zeit, dass neue Kräfte und Ideen in der ABZ Einzug halten und Verantwortung übernehmen.

«Ich werde mich um Portfoliofragen und spezielle Projekte kümmern.»

Martin Grüninger, Mitglied der Geschäftsleitung

Wie unterscheidet sich Ihre neue Position von der alten?

Ich werde nicht mehr für den Bereich Bau und Entwicklung verantwortlich sein, sprich auch keine Mitarbeitenden mehr führen, sondern mich um Portfoliofragen und spezielle Projekte kümmern. Ganz konkret zum Beispiel um den Ersatzneubau der Siedlung Herrlig in Altstetten. Ausserdem werde ich nicht mehr Teil der Geschäftsleitung sein.

Worauf freuen Sie sich in der neuen Position? Und was werden Sie vermissen?

Das ist einfach: Ich freue mich auf mehr Zeit. Und einen nicht ständig überfüllten Kopf. Am meisten vermissen werde ich sicherlich das Team. Alle aktuellen Mitarbeitenden habe ich persönlich mit ausgewählt und nun schon viele Jahre begleitet. Aber auch die Zusammenarbeit mit den Geschäftsleitungskollegen und dem Vorstand. Diese war immer bereichernd und zielorientiert, ich bin stolz auf das, was wir gemeinsam geschafft haben. Doch zum Glück bin ich ja nicht aus der Welt.

«Zürich braucht Verdichtung, wenn wir die rund 80’000 Menschen unterbringen möchten, die schätzungsweise bis 2040 zusätzlich hier wohnen werden.»

Martin Grüninger, Mitglied der Geschäftsleitung

Was wünschen Sie sich für die Immobilienstrategie der ABZ?

Ich würde mir wünschen, dass die ABZ den Weg, den wir in den vergangenen Jahren eingeschlagen haben, konsequent weitergeht. Dass sie zum Beispiel weiterhin darauf achtet, dass Neubauprojekte eine hohe städtebauliche und architektonische Qualität aufweisen. Und dass sie nebst der Nachhaltigkeit immer auch die Wirtschaftlichkeit im Blick behält.

Was ist Ihnen für die Stadtentwicklung von Zürich ein Anliegen?

Gerade was das Thema Verdichtung angeht, stimme ich mit der Strategie der Stadt überein. Zürich braucht Verdichtung, wenn wir die rund 80’000 Menschen unterbringen möchten, die schätzungsweise bis 2040 zusätzlich hier wohnen werden. Mit den Belegungsrichtlinien der ABZ wären dafür mehr als 30’000 Wohnungen nötig. Eine Verdichtung in diesem Mass wird kaum ohne eine Entwicklung in die Höhe möglich sein, entsprechend wird und darf sich das Stadtbild verändern.

«Verdichtung meint nicht, jeden Leerraum oder jede Grünfläche zuzubetonieren.»

Martin Grüninger, Mitglied der Geschäftsleitung

Stichwort Verdichtung: Wie räumen Sie mit negativen Vorurteilen auf?

Indem ich erstmal ein Missverständnis kläre: Verdichtung meint nicht, jeden Leerraum oder jede Grünfläche zuzubetonieren. Im Gegenteil: Man wird eher in die Höhe bauen, was den Vorteil hat, mehr Grün am Boden zu bewahren. Im Kochareal haben wir genau diesen Ansatz verfolgt. Dort planen wir rund 26 Wohngeschosse, zusammen mit dem Erdgeschoss und einem Technikgeschoss ergibt das eine Gebäudehöhe von rund 86 m. Die Höhe schafft neue Blickwinkel in die Weite – da geht einem das Herz auf.

Wie hat sich der Immobilienmarkt aus Ihrer Sicht verändert?

Was sich in den letzten 20 Jahren spürbar verändert hat, ist die stetig zunehmende Reglementierung und Normierungen. Es ist wirklich schwieriger geworden, Projekte zu entwickeln und umzusetzen. Deshalb dauert es in der Schweiz auch mehrere Jahre, bis 200 neue Wohnungen geplant und erstellt sind. In anderen Ländern wird ein Mehrfaches in der Hälfte der Zeit gebaut. In den Projekten der ABZ stelle ich fest, dass immer mehr Akteure an einem Vorhaben beteiligt sind, gerade bei Neubauten. Die ABZ wird vermutlich in Zukunft noch stärker in unterschiedlichen Konstellationen mit anderen Bauträgern ihren Weg gehen.

In welcher ABZ-Siedlung könnten Sie sich vorstellen, selbst einmal zu wohnen?

Es ist ein grosses Privileg, diese Frage so zu beantworten: Ich könnte in allen Siedlungen, die ich in den vergangenen 22 Jahren mitentwickelt und realisiert habe, wohnen. Doch meine Frau und ich sind in Männedorf seit mehr als 30 Jahren sehr zufrieden – sie ist von Geburt her «ein Seemeitli» und ich inzwischen auch «ein Seebueb».

Wir danken Martin Grüninger herzlich für sein grosses Engagement. Seine Nachfolge wird im September Sabine Merz antreten. Die Architektin hat breite Erfahrung als Bauherrenprojektleiterin und verfügt über grosse fachliche Kompetenz. Wir freuen uns sehr, dass eine so versierte Expertin zu uns stösst.

Fotografie
Reto Schlatter

Lena Tovar

Mag Menschen, Magazine und Sommertage in der Badi. Reist am liebsten mit dem Zufall. Ist für die ABZ als Freelancerin unterwegs.

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